Ursula Hellmann

PPERSÖNLICHES:

 

Ursula Hellmann, geb. Jacobs, ist in Wuppertal geboren und lebt heute in Leichlingen.

 

Sie schreibt seit 1963 Lyrik, Kurzgeschichten, und Hörspiele sowie Texte zu Liedern die sie auch selbst vertont.

 

Bisherige Veröffentlichungen in Anthologien, Zeitschriften, Hörfunk und im Eigenverlag.

 

Kontakt: ich@ursula-hellmann.de

                      

Unser Birnbaum

  „Die Amseln tragen es mir jeden Tag zu: Heute sagte die Stimme im Radio: Es ist das Jahr 1956! Morgensonne schon so früh – und das im September! Das tut meinem alten Stamm gut. Was in meinen Zweigen an Birnen reift, kann sich durchaus noch sehen lassen! Saftig und süß werden sie sein in zwei oder drei Wochen. Komisch, seit Tagen erscheinen hier auf unserer Streuobstwiese zwei Menschen und gehen herum, als würden sie hierher gehören! Das verbitte ich mir aber! Sie stören unsere Ruhe, sie verscheuchen unsere kleinen Untermieter in unseren Wurzeln. Ich verstehe nicht, warum die Bäume um mich herum sich so gleichgültig verhalten! Ich für meinen Teil ahne Schreckliches! Die Amseln haben mir schon erzählt, was hier vor sich gehen soll. Ob wir im nächsten Frühjahr noch blühen werden und mit den Bienen ein Schwätzchen halten? Wo immer Menschen auftauchen noch bevor es ans Ernten geht, kommt nichts Gutes hinterher. Wer weiß, wie alles werden wird?“


 

  Ein halbes Jahr später wurde es laut, sehr laut, auf der Streuobstwiese. Ein Baum nach dem anderen sank zu Boden. Frei ging der Blick nun über die frisch gepflügten Felder. Über den Weg zwischen Obstbäumen und Wiese kamen donnernde Maschinen und plappernde Männer mit Werkzeugen. Kreischende Sägen fraßen sich in alte und junge Stämme, zogen die Toten weg und holten so viel lebendes Holz, bis ein großer Platz übrig blieb.

 

  „Wann werden diese Räuber zu mir kommen und mich zerstückeln? Nun sind es nur noch vier neben mir, die auf den Tag X warten. Schrecklich, dieser Gedanke!“

 

  Als der Sommer zuende ging, stand statt der vielen Apfel-, Birnen- und Pflaumenbäume ein Menschenhaus vor dem alten Birnbaum. Zwei weibliche und ein männliches Wesen gingen dort ein und aus, und sie blieben – lange, sehr lange. Links neben dem Birnbaum starben in den Jahren danach auch seine drei hochgewachsenen Freunde. Langweilig war es dem übrig Gebliebenen zum Glück nicht. Die neuen Mitbewohner wechselten seltsamerweise, vermehrten sich aber stetig.

 

  „Wie alt mag ich nun sein? Hundert Sommer oder mehr? Nicht jeden Herbst schaukelten gleich viel Birnen im Wind. Trotzdem bogen sich oft meine Zweige von der süßen Last. Ich sah sie aufsammeln, spürte die Menschenhände an mir rütteln, bis ich die Früchte loslassen musste. Körbe, Wannen und Taschen füllten sie mit meinen Schätzen. Ich verstand ihre Bewegungen und war gerührt. Sie bedankten sich nicht nur bei den Menschen im Haus. Sie dankten der Kraft, die meinen Saft immer wieder neu aufsteigen lässt und meinen Früchten Sonne und Regen gibt! Solchen Lebewesen überlasse ich meine Birnen gerne! Aber ich werde trockener, müder. Der Wind macht mit mir, was er will. Auch meine gute, lange Zeit geht ihrem Ende entgegen. Heute trage ich ein wundervolles Ehrengeschenk! Es war eine Überraschung für mich, die ich mir selbst hätte nie ausdenken können! Rund um mich haben zarte Ranken einen Lebensraum gefunden. Ranken mit Dornen zwar, aber dafür mit tausenden von hellrosa Blüten. Sie wanderten hinauf – rechts und links in mein Astwerk, immer weiter Richtung Morgensonne bis in den Wipfel. Nun stehe ich da – zwischen meinen Blättern warten noch die tapfersten Birnen auf eine gelungene Reife. Sie werden geschmückt und gekrönt von den Rosen-Kaskaden wie eine Braut von einem prächtigen Hochzeitskleid. Ach, ich alter Birnbaum! Davon hab ich in meinen jungen Jahren nicht einmal geträumt! Es wäre undenkbar schön, wenn ich noch einige Sommer an diesem Platz bleiben dürfte, ohne eigene Anstrengung, ohne Sorge um möglichst viele bestäubte Blüteälter, n – und doch so kostbar eingehüllt in Blüten ganz anderer Art. Die Vögel bauen ihre Nester dazwischen und müssen sich vor lauernden Räubern nicht fürchten. Die Dornen schrecken die Feinde ab. So bin ich doch noch zu etwas Wunderbarem nutze! Wie soll ich mich denn jetzt nennen? Bin ich ein Bi-sen oder Ro-nen, ein Bi-Ro oder Ro-Bi-Baum? Freude steigt mit meinen Säften auf. So möchte ich endlich meinen Frieden machen mit den Wesen, die vor fünfzig Sommern meine einstigen Nachbarn vertrieben. Ich genieße das Heute und bin dankbar dafür!“

Allein, nicht einsam

Die Jahre ziehen still vorüber,

es gräbt die Zeit in mein Gesicht sich tiefer ein.

Ist nun vorbei der Jugend und der Sehnsucht Fieber?

Mündet der ungezähmte Fluss ins Meer der Ruhe ein?

 

Bin meinen Weg durch diese Welt gegangen, mich hielt das Glück und mal das Leid gefangen. Hab ich den Becher bis zur Neige ausgetrunken?

Es haben tausend Wunder mir umsonst gewunken. Doch hätt' ich tausend Leben hier zu leben – ich würde alle tausend gerne für dich geben.

 

Der Herbst schenkt golden-bunte Bilder,

der Sommer zauberte aus Blüten reife Frucht.

Ein junges Lachen fliegt durchs Haus und will mir schildern:

Kein Name bleibt, doch jedes Herz das gleiche Eden sucht.

 

Bin meinen Weg durch diese Welt gegangen. Ich konnte mehr als andere erlangen. Bin ich zufrieden mit der Ernte meines Lebens? War da ein Schrei, der nach mir rief und blieb vergebens? Ich geh, in dir, von einem Raum zum andern und möchte tausend Jahr so weiter wandern.

 

Der Winter droht mit langen Schatten,

ich schließ die Augen und erschau ein bess'res Land.

Was deine klaren Quellen mir zu geben hatten,

stillt' meinen Durst und ist ein Schatz,

den nirgend ich sonst fand.

 

Bin meinen Weg durch diese Welt gegangen, geh ihn zuende ohne Furcht und Bangen. War'n auch der Straßen tausende verschlossen, hab ich des Lebens Süße oft und oft genossen.

 

So lebt' ich e i n s anstatt von tausend Leben und fand in ihm den Saft von mehr als tausend Reben.

 

aprilgedanken  2016

Verwirbelt, verquirlt, unentwirrbar verschlungen!

Was geschrieben – war's auch gesagt?

Kam die Antwort noch vor gefragt?

Herr Eisland begattet Frau Panama!

Wird Moral okzidental von Ali Aba entlarvt?

Sei' es Lust, oder Frust – wer war eher da?

Lug und Trug sind ein uraltes Paar.

 

Verkabelt, vernetzt, tausendfarbig verraten!

Ist versandet, was wird versandt,

und das Trau'n mit dem Miss verwandt?

Wo weiß darauf steht, ist stets schwarz darin?

Viele Asse und Buben, gut gemischt mit dem Kreuz,

setzt nur neue Flicken aufs alte Gesicht,

nennt nun Strafe die ordnende Pflicht.

 

Tohwabohu am Anfang, Tohwabohu am Schluss!

Bricht das Hauptrohr erst mal entzwei,

quillt die Flut ungebremst herbei.

In den Köpfen schlürft Leere Chaos auf.

Wann endlich beginnt die Stille zu schrei'n?

Schau, im Auge des Zorns – da wartet ein Blick,

wandelt Asche in Gold zurück.